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Einige Gedanken zu den Arbeiten von Sonja Weber
Ein Interview mit Prof. Dr. Florian Matzner

Florian Matzner (FM): Der italienische Schriftsteller Alessandro Baricco hat in seinem Roman "Oceano Mare" einen Maler beschrieben, der einen Sommer lang versucht, das Meer zu malen, und dann ebenso resigniert wie erleichtert feststellt, das dies nicht möglich ist, denn – so der Künstler: „Das Meer ist eine Idee. Oder besser, ein Streifzug der Phantasie." Sind auch für Dich Deine Motive als Ausschnitte aus der Realität – Wasser, Haare, Wolken – "Streifzüge der Phantasie"?

Sonja Weber (SW): In gewisser Weise, ja. Sie sind ein „Streifzug der Phantasie“ im Sinne einer Momentaufnahme, eines aus dem Fluss des Lebens herausgegriffenen Augenblicks. Ein Augenblick wird eingefangen: eine bestimmte Wellenbewegung, die nur in diesem einen bestimmten Moment bei bestimmten Lichtverhältnissen so ist; eine Wolkenformation, die im nächsten Moment schon wieder ganz anders ist, da der Wind sie weitertreibt oder sie sich zu höheren Wolkentürmen aufbaut; eine Konstellation der Haare für einen Augenblick, die ebenfalls nur dann genau so ist, im nächsten Moment schon wieder anders verwuschelt oder vom Wind zerzaust. Allen Motiven liegt unsere reale, wahrnehmbare Welt zugrunde. Und dennoch sind sie geprägt von einer Unendlichkeit der Form wie auch der Zeit. Es sind Streifzüge des aufmerksamen Auges durch unsere Welt, die von dieser Flüchtigkeit etwas festhalten wollen, ihr Bedeutung zukommen lassen. Das Meer ist für mich im Gegensatz zu oben erwähnten Maler keine „Idee", sondern Realität und hat einen Charakter von Ewigkeit und Endlosigkeit. Diese Endlosigkeit in seiner Erscheinungsweise – der Punkt wahrscheinlich, den der oben beschriebene Maler feststellte – ist für mich Motivation zum Weiterforschen und „Sehen".

FM: Was aber verbindet oder trennt diese verschiedenen Bildmotive und Deine künstlerische Umsetzung?

SW: Mit meinen Arbeiten und der Auswahl der Augenblicke versuche ich mich dieser Unendlichkeit der Form wie auch der Zeit anzunähern. Allen Motiven wohnt die Überraschung des Augenblicks inne – Augenblicke, die aus der Thematik „Natur und Schöpfung" und aus dem uns alltäglich Umgebenden herausgegriffen sind. Es geht mir um Wahrnehmung, um Innehalten, um Reflektion. Und es geht um Einmaligkeit, um Charakterisierung und Annäherung. Verbindend ist auch die Faszination, vom „Nicht-Greifbaren“ Momente festzuhalten, die einen Aspekt des Wesens des jeweiligen Sujets erkennbar werden lassen –- im Wissen um eine riesengroße Unvollständigkeit. Der bei den Wassermotiven herausgegriffene Moment wird in genau der gleichen Erscheinungsweise nicht wiederkehren. Es wird immer eine andere sein, je nach Lichtstärke, Sonneneinfall und Oberflächenbewegung. Wasser kann Ruhe ausstrahlen und Erholung bieten, aber auch ganz stürmisch sein und als Naturgewalt faszinieren. Diese verschiedenen Charaktere des Wasser will ich einfangen, um damit ein Stück seines Wesens zu zeigen. Die unendliche Palette im Ausdruck der Bilder reicht von stark malerischer bis hin zu grafisch verfremdeter Ausarbeitung. Varianten, die nie zu Ende sind.

Ähnliches gilt für die Wolken. Den Wolken wohnt eine Leichtigkeit inne, eine Transzendenz, etwas Dahingehauchtes. So schnell wie sie sich gebildet haben, so schnell lösen sie sich wieder auf in der Endlosigkeit des Himmels. In der künstlerischen Umsetzung sind dies Bilder, die mit wenig Kontrast dafür stark mit dem Lichteinfall arbeiten. Bei den Haarmotiven kommt verstärkt der Aspekt der Einzigartigkeit und der Individualität zum Tragen. So wie jeder Mensch anders geschaffen ist und anders aussieht, hat auch jeder andere Haare. Auch wenn sich in der Umsetzung die gesamte Variationsbreite vom malerischen Ausdruck bis hin zur grafischen Struktur in den Bildern wiederfindet, überwiegen letztere bei den Haarmotiven. Beim meinen Versuchen der Annäherung bin ich bemüht, die Vielfalt der Eindrücke zu bündeln. Selten behandle ich ein Thema nur einmal, es entstehen mehrere verschiedene Arbeiten zu einem Motiv. Eine weitere Gemeinsamkeit der Bildmotive ist, dass es sich jeweils um einen Ausschnitt, ein Fragment eines größeren Ganzen handelt. Dadurch entsteht eine Fokussierung, eine Konzentration auf eine bestimmte Sache, eine Bündelung des Eindrucks. Dem Betrachter wird Nähe vermittelt, es soll keine Überforderung durch das „große Ganze"geschehen. So besitzen die Bilder z.B.keine tiefe Räumlichkeit. Nichts, was vom Eigentlichen ablenkt. Bei allen Werken ist die Farbigkeit stark zurückgenommen wodurch die Licht- und Schattenwerte stärker betont werden, vergleichbar dem Unterschied einer Farb- und Schwarzweiß-Fotografie. Durch die Plastizität des aufgespannten Gewebes und der im Licht immer neu changierenede Oberfläche wird die immerwährende Bewegtheit der Motive unterstrichen.

FM: Als außen stehender Betrachter hat man den Eindruck, als würdest Du in Deinen Arbeiten eine emotionale Gegenwelt – eben der Phanatsie – zur allzu banalen Alltagswelt aufbauen, gleichsam die Flucht aus der Realität in die Virtualität des Moments, des Gedankens, des Traums?

SW: Ja, das kann man so sagen. Doch man muß sich klarmachen, dass das von mir Wahrgenommene der Realität entnommen ist. Es ist eine ganz bestimmte Wahrnehmung und Sicht auf die Dinge des mich täglich Umgebenden. Die Banalität des Alltags bietet beim aufmerksamen Beobachten eben doch Eindrücke, die es wert sind, hervorgehoben zu werden. Daraus baut sich diese Gegenwelt auf. Es ist auf jeden Fall keine Flucht in eine Scheinwelt, keine Resignation, sondern eine Erinnerung und Bewusstmachung, dass es auf der Welt noch Hoffnung gibt, wenn auch nicht immer sichtbar und erkennbar.

FM: Man muß natürlich auch berücksichtigen, dass sich in den vergangenen fünf Jahren die „alte“ Industriegesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts in die globalisierte Informationsgesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts entwickelt hat: Aufhebung der Privatsphäre, Geschwindigkeit des Alltags, Globalisierung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Vorgänge usw. bringen völlig andere Rezeptionsweisen des Betrachters mit sich, die meines Erachtens ein Künstler heute zu berücksichtigen hat.

SW: Das Phänomen unserer Zeit ist ja, dass – obwohl im Zuge der Globalisierung und des technischen Fortschritts alles schneller geht – der Mensch doch immer weniger Zeit hat. So wie unsere Welt und unser Alltag sehr schnelllebig geworden sind, so groß ist auch oft die Flüchtigkeit, mit der ein Kunstwerk erstellt wird und ein Kunstwerk vom Betrachter aufgenommen wird. Meine Bilder sind nur auf den ersten Blick schnell zu erfassen. Abgesehen von den Motiven laden auch die Materialität, die sich erst bei genauerem Hinsehen offenbart und die dahinterstehende Technik, die neugierig macht, ein zum Verweilen, zum Innehalten und zum Entdecken, zum Eintauchen in eine andere Welt, die der Mensch ein Stück weit verloren hat.

FM: Genau da setzen ja Deine Bilder an, wenn sie in der Tat, wie Du sagst, eine Gegenwelt benennen, die aber eben keine Scheinwelt ist.

SW: In unserer ruhelosen Zeit ermöglichen meine Arbeiten dem Betrachter die Erinnerung und die Flucht in diese andere Welt. Er kann in meine Wasser - und Wolkenbilder eintauchen, dort zur Ruhe kommen, Entspannung finden und die Seele baumeln lassen. Auch wenn solche Äußerungen nicht dem Zeitgeist der aktuellen Kunst entsprechen, so beschreiben sie doch zugegebenermaßen das, was jeder Mensch im tiefsten Inneren an Sehnsucht und Wünschen verspürt. Ich hoffe, meine Bilder können eher „Energiespender" als „Energieräuber" sein. Vielleicht können sie den Blick und das Bewußtsein wieder schärfen für das, was verloren gegangen zu sein scheint. Da sie auf mehreren Ebenen zugänglich sind – auch auf emotionaler und sinnlicher – bedürfen sie nicht vieler Erklärungen. Mein Ziel ist es, dass ein Bild ohne lange Erklärung verstanden werden kann und für sich spricht.

FM: Darüber hinaus versinnbildlichen Deine Werke trotz der Augenblicklichkeit eine Konzentration auf Langsamkeit, Entschleunigung – sie sind genauso kurzlebig wie sie ewig sind?

SW: Ich denke ja. In gewisser weise sind sie ein Innehalten, ein Durchatmen. Vielleicht ist die Kurzlebigkeit vieler Dinge und Momente ein Bestandteil und Charakteristikum der Ewigkeit – Thema „Tod“, „Vergänglichkeit“, „Beständigkeit“. Wir erleben Zeit in unseren wahrnehmbaren drei Dimensionen. Aber vielleicht gibt es eine weitere Dimension, wo Zeit nicht linear abläuft, sondern auf einen Punkt gebündelt ist – es Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich gibt? Das ist für mich eine Vorstellung von Ewigkeit. Die Summe all dieser einzigartigen und unwiederbringlichen Momente kann ein Stück Ewigkeit sein. Vielleicht ist jeder Augenblick ein Mosaikstein der Ewigkeit.



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