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Viola Stohwasser-Gerdsen
Bewegte Momente – gewebte Momente

Die Sache mit "nomen est omen" wollen wir lieber nicht erläutern, weil es sich bei Sonja Webers gewebten Bildern nicht um traditionelle Textilkunst handelt. Der handwerkliche Aspekt der Weberei steht keineswegs im Focus ihrer Arbeit. Vielmehr changiert sie zwischen den Medien Fotorealismus, Computerkunst, Textilkunst und Tafelmalerei. Das Ergebnis ist ein Jacquard-gewebe, das sie auf einen Keilrahmen spannt. Die Grundlage für die Darstellung von Wasser, Wolken und Haaren bildet eine von ihr aufgenommene Fotografie, die sie bearbeitet und auf einem computer-gesteuerten Webstuhl umsetzt in ein sehr feines Gewebe, das eine irisierende Oberfläche aufweist.

In seiner Funktion ist das aufgekeilte Gewebe nicht Bildträger, wie die Leinwand in der Malerei, sondern das Bild selbst. Sonja Weber liebt das Spiel mit subtilen Bezügen: Eine auf Massen-produktion ausgerichtete Maschine setzt sie beispielsweise zur Herstellung von Unikaten ein. Eine Arbeit von ihr ist wie im Falle von Gemälden, nie ein Auflagenobjekt, obwohl dies möglich wäre. Damit verdeutlicht sie, dass es ihr beim Einsatz der Technik nicht um die Multiplizierbarkeit einer Bildidee, sondern um die Präzision ihrer Ausführung geht. Hat man auf den ersten Blick den Eindruck, sie sei Fotokünstlerin, wird schnell klar, dass sie die Fotografie nur als Schritt zu neuer Bildfindung nutzt. Ganz sicher ist sie auch keine Textil-künstlerin. Sonja Weber überwindet das Klischee des "typisch Weiblichen", das dem Medium anhaftet. Ihre exakten, maschinell hergestellten Gewebe tragen auch keinerlei kunst-gewerblichen Charakter in sich. Der Ausdruck des Präzisen, nicht des handwerklichen wird von Sonja Weber angestrebt. Materialikonographische Erklärungen geben uns aber nicht genügend Aufschluss über die gewebten Bilder.

Versucht man die Arbeiten Sonja Webers kunsthistorischen Refernzsystemen oder medialen Kategorien zuzuordnen, kommt man dabei am ehesten zu einer Lösung, wenn man sich auf die Wahl ihrer Sujets konzentriert und erkennt, welche Wirkung sie bei deren Umsetzung erreicht. Wasser und Wolken sind Themen, mit denen sich die Malerei schon seit Jahrhunderten beschäftigt. Vor allem die „tromp lòil“ Malerei, durch die Himmel und Wolken wie ein Ausblick in geistige Sphären wirken und Wasser geheimnisvolle Tiefen vorspiegelt. Es liegt also in Anbetracht der Wahl ihrer Themen nahe, dass Sonja Weber im Bereich der Malerei nach neuen Zielen und Lösungen sucht.
Bei der Darstellung bekannter Thematik wird besonders deutlich, wie stark sich der Ausdruck, die Wirkkraft des Dargestellten jenseits von Traditionslinien verändert. Bei Webers Bildern ist die Oberflächenstruktur, entstanden durch das Heben und Senken des feinen Fadens von ent-scheidender Wichtigkeit. Verändert der Betrachter seinen Standpunkt je nach Lichteinfall, gewinnt das Dargestellte an Plastizität und überschreitet die Grenzen des Tafebildes. Es tritt durch die unterschiedliche Licht- Schattenwirkung in den Raum, wird dreidimensional. Die monochrome Farbigkeit - Tiefblau, Schwarz oder Grau -, lässt eine belebte Kontrastreiche entstehen, wie man sie von Zeichnungen kennt.

Bekannte Kompositionsschemata werden von Sonja Weber hier neu belebt. Der statische Abbildcharakter weicht einer spannungsreichen Bewegtheit. Man ist versucht von rollenden Wellen und ziehenden Wolken zu sprechen. Der Eindruck des Momentanen, welcher der Abbildung Wolkenformationen und Wasser-impressionen immanent ist, wird beim Betrachten des Bildes weiterentwickelt. Das Abgebildete verhält sich gegenüber dem Betrachter nie in gleicher Weise. Die fotorealistsichen Grundlage wird nicht festgehalten, sondern bleibt veränderbar, schafft immer neue Impressionen. So entspricht die Wandelbarkeit des Sujets der Wandelbarkeit des Abgebildeten. Zeit wird nicht festgegossen, sondern bleibt in Fluss. Die Umsetzungen von Wolken und Wasser eignen sich in ihrer beliebigen Formbarkeit deshalb nicht allein als reizvolles kompositorisches Element, sondern erlangen auch inhaltliche Bedeutung.

Das Sujet „Haare“ bildet eine eigene Werkgruppe. Sie zeigt grafische Tendenzen. Wie starke Schraffuren wirken die hyperrealistsichen Nahaufnahmen und lassen rationalistische Aspekte abstrakter Malerei hervortreten. Auch in der Aussage unterscheiden sie sich von den Momentaufnahmen der Wasser-und Wolkensituationen. Zeigen sie einerseits die Spontanität der verwuschelten Frisur,wird andererseits ein Verlauf von Zeit, gewachsener Struktur übertragen.

Sonja Weber setzt traditionelle Sujets und Kompositionsweisen in einem scheinbar konservativen Medium um und erreicht dabei völlig neue Ergebnisse. Die Malerei ist konzeptioneller Dreh-und Angelpunkt ihrer Kunst, aber sie befreit das Tafelbild aus der Zweidimensionalität. Sie betreibt Malerei nicht mit Farbe und Pinsel. Und Jemand, der etwas Neues entdeckt hat, eine Entwicklung in neue Bahnen geführt hat, der lässt sich eben nicht einordnen.



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